DATUM: 11.05.2019
John Paul Fender wuchs in der Umgebung des nordenglischen Hull an der Ostküste auf. Das regelmäßige Umziehen in jungen Jahren war vielleicht einer der Gründe, die den passionierten Marathon-Läufer und Geschäftsführer eines 220 Jahre alten Traditionsunternehmens darauf vorbereiteten, als bereits junger Mann die englische Heimat zu verlassen und in Deutschland sesshaft zu werden. Seit 1993 lebt Fender, dessen zwei Vornamen auf die großen Beatles-Legenden John Lennon und Paul Mc Cartney schließen lassen und dessen Nachname der Marke für besonders gute E-Gitarren entspricht, hier bei uns in Südwestmecklenburg. Seit dem Jahr 2000 arbeitet er für die Neu Kaliss Spezialpaper GmbH. Sitz des Unternehmens: Neu Kaliß im Landkreis Ludwigslust-Parchim.
WiFöG: Herr Fender, Sie kennen sich sehr gut mit Papier aus. Wenn Sie von einem Gesprächspartner dessen Visitenkarte erhalten, spüren Sie dann sofort, ob die auf einem besonders hochwertigen, individuellen Papier gedruckt worden ist? Und ziehen Sie dann automatisch auch Rückschlüsse in Bezug auf das Unternehmen, für das der Gesprächspartner auftritt?
Fender: Nun, ich bin zwar kein Papiertechnologe, aber ich kenne mich in der Tat mit Papier sehr gut aus. Ich kann sehr schnell feststellen, ob eine Visitenkarte aus einem außergewöhnlichen bzw. individuellen Material gefertigt ist – oder ob das Material eher Massenware ist. Aber Rückschlüsse ziehe ich daraus nicht. Da würde ich wahrscheinlich sehr oft irren. (lächelt) Wissen Sie, gerade die Visitenkarte als Printprodukt ist ein Objekt, dessen Bedeutung in den letzten Jahren leider zurückgegangen ist. Früher hatten alle diese Mappen, in denen man die Karten sammelte. Heute gibt es Apps, da werden die Karten gescannt und automatisch in einer Datenbank hinterlegt. Das ist ziemlich praktisch. Und ziemlich schade für die frühere Kultur der individuellen Visitenkarte … (lächelt)
WiFöG: Ihr Doppelvorname John Paul besteht aus den jeweiligen Vornamen der beiden Leader der legendären Beatles, John Lennon und Paul Mc Cartney. Wurden Sie tatsächlich nach den beiden Musiklegenden benannt, oder ist das nur ein netter Zufall?
Fender: Das stimmt – das ist kein Zufall. In meiner Generation gibt es eine ganze Menge Johns und Pauls in England. Auch John Pauls sind keine Rarität. Meine Schwester heißt beispielsweise Georgina Ringo. Also dürfen Sie davon ausgehen, dass meine Eltern sehr große Fans der Beatles waren.
WiFöG: Mit welchem der beiden haben Sie sich mehr identifizieren können: John Lennon oder Paul McCartney? Oder spielte das für Sie keinerlei Rolle?
Fender: Na ja, wenn man wie ich im letzten Jahrhundert in England geboren wurde, dann ist es quasi unmöglich, sich nicht mit den Beatles beschäftigt zu haben. Ich denke, dass ich mich als jüngerer Mensch immer mehr mit John Lennon identifiziert habe als mit Paul McCartney. Wahrscheinlich, weil er ein wenig rebellischer war. Möglicherweise war er aber auch durch sein Schicksal etwas bevorzugt gegenüber Paul Mc Cartney …
"Keiner weiß, wie er (John Lennon) heute über die Welt denken würde. Und was für Musik er machen würde."
WiFöG: Inwiefern?
Fender: Er starb halt vergleichsweise jung – und dann durch ein Attentat. Man kannte ihn nur als den jungen Revoluzzer, der die Welt verändern wollte. Keiner weiß, wie er heute als alter Mann über die Welt denken würde. Und was für Musik er machen würde. Vielleicht würde er heute Schlager singen? Wer weiß … (lächelt)
WiFöG: Kommen wir zu Ihrer Kindheit. Sie stammen ebenso wie die Beatles aus dem Norden Englands ...
Fender: Ja, ich komme aus der Nähe von Hull. Das liegt fast auf dem gleichen Breitengrad wie Liverpool ist allerdings an der Ostküste. Liverpool hingegen liegt an der Westküste.
WiFöG: Sie sprechen ausgezeichnet Deutsch, haben u. a. Germanistik studiert. Gab es in Ihrer Kindheit Anhaltspunkte bzw. familiäre Gründe, aus denen sich abzeichnete, dass Ihr Weg Sie später mal nach Deutschland führen würde?
Fender: Nein, zunächst nicht. Wir hatten keine deutsche Verwandtschaft und auch sonst keinen großartigen Bezug zu Deutschland. Allerdings gab es eher durch Zufall zwei Umstände in meiner Kindheit und Jugend, die meinen späteren Weg möglicherweise schon früh beeinflusst haben.
WiFöG: Und das waren?
Fender: Eine Städtepartnerschaft und die Tatsache, dass ich während meiner Kindheit siebenmal umgezogen bin. Mein Vater arbeitete beim Gesundheitsamt und da war es üblich, dass man alle paar Jahre versetzt wurde. So war ich als Kind sehr oft der „Neue“ in der Klasse. Es war nicht immer von Vorteil, allerdings lernte ich so, dass man nicht unbedingt dort alt wird, wo man aufgewachsen ist. Ich war sehr neugierig und bin es heute noch. Aber noch wesentlich stärker hat mich die Städtepartnerschaft zwischen Knaresborough und Bebra in Hessen vorgeprägt, denke ich.
WiFöG: Was genau daran hat sie vorgeprägt für ein späteres Leben in Deutschland?
Fender: Wissen Sie, meine Eltern haben diese Partnerschaft stets sehr unterstützt. Wenn Delegationen aus Bebra zu uns zu Besuch kamen, dann waren immer auch einige der Gäste bei uns privat untergebracht. Dadurch hörte ich als Kind die deutsche Sprache, die ich sehr faszinierend fand. Ich bemühte mich, jedes Mal ein paar neue Wörter zu lernen und zu behalten. Außerdem nahm ich am Schulaustausch teil und war für zwei Wochen in einer deutschen Familie in Bebra. Das war großartig. Wir fuhren in dem Rahmen natürlich auch nach Berlin und wir durften sogar für wenige Stunden in den Ostteil der Stadt. Da bekam ich ein Gefühl für die Teilung Deutschlands, für die Dimensionen und ich spürte, dass mich der damals für mich schwer fassbare Ostteil des Landes sehr reizte. Ich bekam Lust auf mehr.
WiFöG: Sie studierten dann Germanistik …
Fender: Und Betriebswirtschaftslehre. Zwei sehr gute Fächer für mich, die auf den ersten Blick vielleicht nicht ganz so zusammen passen. Aber Wirtschaft hat mich schon immer interessiert. Und die Deutsche Sprache eben auch. Während des Studiums habe ich in den Semesterferien regelmäßig mit sehr vielen Deutschen zu tun gehabt. Ich war ein paar Mal in Davos und habe dort gekellnert. Die meisten meiner dortigen Kollegen kamen aus Deutschland. Manche studierten wie ich, andere arbeiteten dort fest. Sie kamen aus allen Ecken Deutschlands. Jedenfalls bildete hochdeutsch damals die anerkannt einheitliche Sprache, mit der wir uns unter- und miteinander verständigten. Ich sagte ja schon, dass ich ein neugieriger Mensch bin. Da musste ich die Sprache beherrschen … (lächelt)
WiFöG: Anfang der 90er Jahre kamen Sie schließlich nach Südwestmecklenburg und begannen zunächst als Dozent in der Weiterbildung. Wie kam es dazu?
Fender: Ich hatte mittlerweile meine jetzige Frau kennen gelernt und mich also noch ein wenig mehr in Deutschland verliebt. Außerdem war es so, dass es Anfang der 90er sehr viele sehr qualifizierte Menschen in Ostdeutschland gab, die Berufe erlernt hatten, die aufgrund der Wende nicht mehr existierten. Die absolvierten also Qualifizierungen und stiegen dann wieder ins Berufsleben ein. Dafür suchte man Dozenten und ich konnte mir nichts Besseres vorstellen. So kam ich endlich und ohne weitere Umwege hier in den Nordosten! (lacht herzlich)
WiFöG: Nach zwei Jahren wechselten Sie dann zu den Grabower Süßwaren in den Vertrieb. Das war dann ja schon ein großer Schritt …
Fender: Ja, das war es. Vorausgegangen war eine kritische Reflexion. Die Arbeit als Dozent bereitete mir sehr viel Freude und ich hatte mit vielen Menschen zu tun. Ich brachte denen etwas bei und sie gingen wieder. Hin und wieder traf man sich danach und ich bekam mit, wie sie mir von ihrer neuen Arbeit berichteten. Wir freuten uns dann gemeinsam darüber. Irgendwann stellte ich aber fest, dass all die Menschen, die ich als Dozent unterrichtet hatte, sich in jener Zeit bewegt hatten. Sie hatten sich weiterentwickelt. Der einzige, der quasi stehenblieb und sich nicht weiterentwickelt hat, das war ich. Und als ich das erkannte, war mir klar, dass ich mich verändern muss. In Grabow suchte man zu jener Zeit händeringend qualifizierte Leute für Marketing und Vertrieb. Und jemand mit meinem Background und der Sprachkenntnis war die ideale Lösung für Grabower Süßwaren. Das war eine spannende Erfahrung und eine große Herausforderung zugleich.
WiFöG: Im Jahr 2000 zog es Sie dann beruflich weiter und Sie wechselten zu Ihrem jetzigen Arbeitgeber als Vertriebsleiter. War das zunächst eine Umstellung für Sie: von den Süßwaren zum Papier?
Fender: Wissen Sie, das ist natürlich ein sehr großer Unterschied. Im Süßwarenbereich, so wie nahezu im gesamten Food-Segment, geht es darum, ein Produkt so zu entwickeln, dass es möglichst kurze Zeit im Handel verbringt und wiederum möglichst kurze Zeit beim Käufer. Es soll dann auch verbraucht werden. Das ist sein Zweck und dafür gibt es sogar ein Mindesthaltbarkeitsdatum. In der Papierbranche ist zwar auch einiges auf schnellen Verbrauch angelegt – beispielsweise Kopierpapier. Im Wesentlichen jedoch denken, planen und entwickeln wir längerfristig. Wir agieren gemeinsam mit unseren Kunden, wenn es darum geht, Produkte zu erfinden und sie besser zu machen. Es ist mehr ein Miteinander als im Food-Bereich. Jedenfalls nach meiner Erfahrung. (lächelt)
WiFöG: Ihr Unternehmen produziert und vermarktet seit 1799 Papier für spezielle Zwecke. Inwiefern haben Sie damals bei Ihrem Einstieg diese große Tradition spüren können?
Fender: Hm. Für mich war das beispielsweise die Tatsache, dass der Ortsname Teil unseres Firmennamens ist. Das hat mir gezeigt, dass man hier auch eine große Verantwortung zum Standort hat. Man kann die Fabrik nicht über Nacht an einen anderen Ort verlegen, ohne dass man den Unternehmensnamen ändern müsste. (lächelt) Außerdem konnte ich schnell feststellen, dass es zahlreiche Mitarbeiter gab, generationenübergreifend aus den gleichen Familien stammten. Das fiel wirklich auf.
WiFöG: Wirft man einen Blick auf Ihr aktuelles Portfolio und die vielen Innovationen der letzten Jahre in Ihrem Haus, dann gewinnt man den Eindruck: Kaum etwas unterliegt so vielen Veränderungen wie der Papiermarkt. Ist das so korrekt oder sind es nur einige wenige Unternehmen, wie Ihres, das eine so hohe Wandlungsfähigkeit besitzt?
Fender: Nun, die Papierbranche unterliegt mit Sicherheit einem Wandel. Aber es ist nicht so, dass insgesamt weniger Papier gebraucht würde. Die Büros dieser Welt sind nicht wirklich papierfrei geworden. Und der Markt für Bücher hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugelegt. Es ist „in“, Bücher zu haben und sie zu lesen. Und im Gegensatz zu einem Kindle, zeigt ein Buchrücken jedermann im Umkreis, dass und vor allem was man liest. Der einzige große Bereich, wo der Papiereinsatz rückläufig ist, sind Zeitungen und Zeitschriften. Wir als Unternehmen sind von diesen Bereichen jedoch nicht betroffen, denn wir produzieren besondere Lösungen aus Papier. Das heißt, wir „spielen“ in Nischen. Und gerade dort sind Wandlungsfähigkeit und Entwicklungsfreude gefragt. Nehmen wir beispielsweise die Tapete. Seit Jahren sind wir einer der besten Produzenten in diesem Bereich und verkaufen hochqualitative Ware auch ins Ausland. Dieser Markt wandelt sich gerade. Die Menschen wollen Geld ausgeben – aber eben nicht für Massenware. Was immer mehr geht, das sind individuell im Digitaldruckverfahren bedruckte Tapeten, die wir glücklicherweise auch produzieren können. Wir erfinden uns also alle paar Jahrzehnte quasi neu … (lächelt)
"Wir können gar nicht genug innovativ sein."
WiFöG: Sie sagten es gerade: Einer Ihrer unternehmerischen Schwerpunkte liegt in der Produktion von Tapeten. Doch mittlerweile arbeiten Sie verstärkt auch als Zulieferer für andere Branchen. Können Sie heute schon sagen, wo die Reise Ihres Unternehmens in den kommenden Jahren hinführt?
Fender: Klar. (lächelt) Wir produzieren beispielsweise Papier, das als Träger für hochklebende Verbindungen dient. Hier beliefern wir die Automobil- und auch die Automotive-Industrie. Insgesamt nimmt das zu. Schrauben sind im Vergleich teuer zu produzieren, zeitintensiver zu verarbeiten und im Ergebnis wird beispielsweise ein Auto leichter, wenn es verklebt anstatt geschraubt wird. Die Haltbarkeit ist jedoch gleich – beziehungsweise besser, wenn verklebt wird. Und ein leichteres Auto verbraucht weniger Kraftstoff – das ist dann im Sinne der Verbraucher und der Umwelt … Wir setzen seit Jahren auf Innovation, sowohl im Hinblick auf die eigenen Produktionsabläufe und -verfahren als auch bei der Suche nach neuen Werkstofflösungen. Dazu prüfen wir regelmäßig, welche neuen Zielgruppen für uns von Interesse sein werden. Wir können gar nicht genug innovativ sein … (lächelt)
WiFöG: Die Neu Kaliß Spezialpapier GmbH ist ein sehr wichtiger Arbeitgeber in der Region. Neben den vielen Angestellten aus der unmittelbaren Umgebung arbeiten bei Ihnen auch internationale Spezialisten. Wie machen Sie potenziellen Mitarbeitern, die aus dem Ausland oder von weiter weg zu Ihnen kommen, und sich bei Ihnen bewerben, den Standort schmackhaft?
Fender: Das musste ich bisher gar nicht. (lacht sehr herzlich) Wer nämlich lieber in der Metropole leben möchte als hier auf dem Lande, für den haben wir eine sehr pragmatische Lösung: In Berlin Neukölln haben wir ein weiteres Werk, das wir vor einigen Jahren aus einem anderen Bereich der Melitta-Gruppe, zu der wir gehören, übernommen haben. Es gibt also die Möglichkeit, von Neu Kaliß nach Neukölln zu wechseln und andersherum. Einige unserer Mitarbeiter sind auch an beiden Standorten aktiv. Das funktioniert sehr gut so. (lächelt) Und es gibt noch einen Grund …
WiFöG: Welchen?
Fender: Die Tatsache, dass wir sehr viele Angestellte haben, deren Eltern und Großeltern hier bereits arbeiten bzw. gearbeitet haben. Für die gehört unser Unternehmen gewissermaßen zur Familie. Die wissen, was sie an uns haben. Und wir wissen das andersherum natürlich auch. Denn diese Mitarbeiter bringen, wenn sie sich bei uns bewerben, bereits eine entscheidende Vorkenntnis mit: Die wissen wer wir sind und wie wir sind. Das ist ein Riesenvorteil, den wir haben.
WiFöG: Wie oft sind Sie selbst in Neukölln vor Ort?
Fender: Sehr viel. Beinahe so viel wie hier. Es gibt also insgesamt für mich drei Orte, an denen ich mich sehr viel beruflich aufhalte: in Neu Kaliß, in Neukölln und in meinem Dienstwagen. (lacht sehr herzlich)
WiFöG: Das glauben wir gern. Herr Fender, nun sind wir bereits bei der letzten Frage angelangt. Hand auf’s Herz: Welche britische Errungenschaft, Erfindung oder aber Spezialität vermissen Sie im alltäglichen Leben am meisten?
Fender: Oh, das ist eine interessante Frage. Ich denke, dass ich die britische „Pub-Kultur“ hier ein wenig vermisse. Sie müssen wissen, dass man in England wie selbstverständlich zum Feierabend in den Pub geht. Auch, wenn man beispielsweise Fußballspiele schaut oder Tennis – man geht in den Pub. Hier gibt es zwar Kneipen, in die kann man auch gehen. Aber in England verbringt man gemeinsam Zeit im Pub – auch ohne großartig zu trinken. Mein Eindruck ist immer gewesen, dass die Deutschen in eine Kneipe gehen, um zu trinken. Dann freuen sie sich, wenn dort auch ein Fußballspiel gezeigt wird. Ich bin bestimmt 20 Tage im Jahr beruflich in England. Da kann ich also die mir hier fehlende „Pub-Kultur“ dann „nachholen“. Komischerweise geht es mir aber immer so, dass sobald ich in England bin, mir ganz viele Sachen einfallen, die mir dann dort fehlen, die ich von hier kenne. Das ist schon ein wenig seltsam … (lacht sehr herzlich)
WiFöG: Herr Fender, wir danken Ihnen sehr für dieses Gespräch.
Gegründet: 1799
Entwicklung und Produktion von speziellen Papierlösungen
Hauptprodukt derzeit: Tapeten
2 Standorte: Neu Kaliß und Berlin Neukölln
NEU KALISS SPEZIALPAPIER GmbH // Am Alten Postweg 1 // 19294 Neu Kaliß
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