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Kuno Karls – der Geschichtenerzähler mit Durchblick

Ausgabe 52

DATUM: 05.10.2019

Kuno Karls wuchs als Kind in unmittelbarer Nähe von Hagenow auf. Als kleiner Junge erlebte er, wie amerikanische GIs den Krieg in seiner Heimat beendeten. Er sah sie kommen. Und er sah sie wieder abziehen und er wurde Zeuge der Besetzung durch sowjetische Einheiten. Seit jenen Tagen seines damals noch jungen Lebens, an die der Augenoptikermeister eine äußerst wache Erinnerung hat, faszinieren ihn vor allem drei Dinge: Erstens die Geschichte seiner Heimatregion. Zweitens Heimat-Geschichten und -Anekdoten. Und drittens die scheinbar unüberwindbare Grenze, die einst Ost und West teilte und die vor beinahe genau dreißig Jahren sich aufzulösen begann. Am 09. November 2019 erscheint sein neues Werk: Ein großer Bildband zur Geschichte der innerdeutschen Grenze in Norddeutschland. Kuno Karls lebt in Hagenow.

„Kommen Sie rauf und achten Sie auf die Stufen, junger Mann!“, in Kuno Karls Worten schwingt ein Lachen mit. Überhaupt ist Kuno Karls ein Mensch, der gern und ausgiebig lacht. Beispielsweise, wenn er, was beinahe zwangsläufig vorkommt, in Erinnerungen schwelgt und dabei manch skurrile Begebenheit vor Augen hat. Sein Lachen ist herzlich. Er ist keiner, der andere auslacht. Er ist einer, der selbst gern lacht. Und der andere damit ansteckt. In diesem Fall ist sein Lachen sicher mitfühlend gemeint. Denn die Stufen, die es zu meistern gilt, um ins Karls’sche Wohnreich zu gelangen, sind weder steil, noch rutschig oder uneben. Es sind jedoch auch nicht wenige. Karls, Geburtsjahrgang 1938, jedenfalls scheinen die Stufen nichts auszumachen.

Oben angelangt, erstreckt sich die große Wohnung, die Kuno Karls gemeinsam mit seiner Frau bewohnt. Darunter lag einst sein „Reich“ – die Werkstatt des Augenoptikermeisters nebst großzügigem Verkaufsraum und Bürofläche. Heute sind diese Räume vermietet.

Kuno Karls entschied sich schon frühzeitig dafür, Augenoptiker werden zu wollen. Mit 15 Jahren habe er eine Lehre begonnen – zunächst als Uhrmacher, sagt er nicht ohne einen gewissen Stolz. So sei er schließlich auch Hagenower geworden. Denn in Woosmerhof, wo Karls vor 81 Jahren geboren wurde und wo er aufwuchs, da hätte er lediglich in die Landwirtschaft gehen können. Für ihn keine Option, wie er nachdrücklich betont. Anschließend, so fügt er hinzu, bot es sich für ihn an, den Beruf des Optikers zu erlernen, da sein Ausbildungsbetrieb den Uhrmacher-Bereich an einen anderen Hagenower Unternehmer abgab. „Ich konnte mir immer schon vorstellen, selbstständig zu sein. Das steckt tief in mir drin“, sagt der Rentner, der deutlich jünger wirkt, als es sein doch recht hohes Alter auf dem Papier glauben machen will.

Schnell gelangt man zu den Geschichten, die ihn in Hagenow, aber auch darüber hinaus, haben bekannt werden lassen: „Fiek’n hätt schräb’n ut Hagenow“ heißen die zahlreichen Hefte, die er in liebevoller und detaillierter Arbeit geschrieben und erstellt hat. Die Hefte, so betont er, seien nicht im Buchhandel erhältlich. Nur handverlesene und bewährte Partner seien so wie er in der Lage, diese Hefte zu verkaufen. Der Titel ist dabei eine Reminiszenz an ein altes Volkslied – eine Polka, die einst in Mecklenburg sehr bekannt war. Und sie verdeutlicht bereits, dass die Geschichten um die Dienstmagd „Fiek’n“ in plattdeutscher Sprache verfasst sind. Diese Hefte aber auch weitere Verdienste um die Geschichte und Geschichten aus und um Hagenow sind es, die Kuno Karls 1998 zum ersten Ehrenbürger der Stadt nach dem zweiten Weltkrieg machen. Zwei Jahre später folgte gar das Bundesverdienstkreuz am Bande. Und im Jahr 2003 wurde Karls mit dem Ludwig-Reinhard-Kulturpreis des Landkreises geehrt. „Preise und Auszeichnungen habe ich wirklich einige bekommen. Das ist auch ganz schön, wenn man für das eigene Hobby so eine Achtung erhält. Am Wichtigsten ist mir aber immer noch, dass die Menschen meine Geschichten lesen wollen“, sagt Karls. Denn dafür schreibe er schließlich.

Dabei schreibt Kuno Karls nicht nur. Er ist seit Jahren auch als Fotograf immer wieder unterwegs. Gerade hat sich der überzeugte Benutzer eines Apple-Rechners – er selbst bezeichnet sich zeitgemäß auch als „Mac-User“ – eine neue Kameraausrüstung zugelegt. Eine besonders Hochwertige, mit der er auch Filme in 4K-Qualität machen könne, um so Bild, Film und Ton bei künftigen Projekten miteinander zu verknüpfen. Würde er heute damit beginnen, seine Geschichten aufzuschreiben, so wäre er höchstwahrscheinlich ein Blogger. Einer mit einem YouTube-Channel und einem eigenen Podcast. „Diese modernen Möglichkeiten finde ich unglaublich faszinierend. Vielleicht probiere ich sie ja noch aus“, merkt er verschmitzt an. 

„Das war genau die Zahl, die ich damals in der DDR beschäftigen durfte, um nicht zu groß zu sein. Andernfalls hätte ich als Kapitalist gegolten“

Sein aktuelles Vorhaben, bei dem er sich mittlerweile auf der Zielgeraden befindet, ist ein großer Bildband zur innerdeutschen Grenze in Norddeutschland. Umfassend und mit authentischem Bildmaterial bestückt, zeigt Karls darin den Anfang und das Ende. Und noch mehr. Denn die Grenze, die er selbst aus entsprechender Distanz kannte, nahm ihren Anfang zum Ende des Krieges. Als zunächst amerikanische Truppen, dann sowjetische Truppen kamen und den Grenzverlauf zwischen den Besatzungszonen aufteilten. „Die US-Verbände kamen und befreiten uns damals“, erinnert sich Kuno Karls. Da sei er als kleiner Junge unheimlich aufgeregt gewesen. Später dann folgten die Russen. 1949, als die beiden Deutschen Staaten gegründet wurden, war Kuno Karls gerade mal 11 Jahre alt. Vier Jahre später beendete er die Schule, um seine Lehrzeit zu beginnen. Es folgten Aufenthalte in Jena, bei Carl Zeiss, und in Ost-Berlin, bevor er im Alter von nur 22 Jahren zurückkehrte nach Hagenow, um den Optikerbetrieb seines früheren Lehrmeisters zu übernehmen. „In jenen Jahren gab es außer uns hier weit und breit keinen anderen Optiker“, erinnert er sich. Deswegen habe er auch nicht wie alle anderen zum Wehrdienst gemusst. Er sei damals darum herumgekommen. Obwohl er die innerdeutsche Grenze in jenen Jahren gern einmal selbst gesehen hätte. Am liebsten von beiden Seiten aus.

Als Optiker verlief Kuno Karls Karriere mehr als zufriedenstellend. Er hatte bis zu 8 Angestellte in seinem Betrieb. „Das war genau die Zahl, die ich damals in der DDR beschäftigen durfte, um nicht zu groß zu sein. Andernfalls hätte ich als Kapitalist gegolten“, sagt Karls mit einem spitzbübischen Lächeln. Dennoch: Kuno Karls war der Augenoptiker weit und breit. Von 1974 bis 1992 war er Obermeister der Innung in der Handwerkskammer zu Schwerin. Und auch seine beiden Töchter wurden durch ihn einst ausgebildet und leiten heute als Optikerinnen ihre eigenen Geschäfte. Sehr gute, wie Karls voller Stolz betont. Mit der Wende und der Wiedervereinigung änderte sich dann so einiges. So auch für den heimatverbundenen Augenoptiker, der bereits in den 60er Jahren damit begonnen hatte, Vorträge zur Stadtgeschichte Hagenows zu halten und der einen Fotoklub gegründet hatte, um gemeinsam mit Gleichgesinnten sein Hobby „Fotografie“ auszuleben. 1974 war er maßgeblich an der Gründung des Hagenower Stadtmuseums beteiligt.  

„Plötzlich und quasi über Nacht veränderte sich dann beinahe alles. Mit der Wiedervereinigung kam ja nicht nur mehr Freiheit. Es kam auch mehr Verantwortung“, sagt Kuno Karls nachdenklich. Vor allem seien es deutlich mehr Aktenordner gewesen, die er in seinem Büro plötzlich habe führen müssen: „Ich habe anfangs ein wenig gebraucht, um das neue Wirtschaftssystem zu durchschauen. Und manches, beispielweise die Buchhaltung, war tatsächlich auch sehr viel anstrengender.“ Dafür habe sich das Thema „Einkauf & Beschaffung“, das zuvor eine oftmals zeitraubende Problematik darstellte, mit einem Mal grundlegend verändert. Karls erinnert sich: „Ich weiß noch, dass ich zu DDR-Zeiten oft nach Rathenow musste, um zusätzliche Gestelle zu besorgen. Die wollten mir nur keine geben. Da musste ich dann schon ein paar Mal gute Argumente – in Form von gewissen Mitbringseln – dabei haben.“ Begleitet von einem herzlichen Lachen schildert Karls diese Episode.

Die Wiedervereinigung brachte Kuno Karls aber nicht nur mehr Freiheit, mehr Verantwortung und einen ganzen Haufen Brillenhersteller ins Haus – sie sorgte auch dafür, dass er die innerdeutschen Grenzanlagen mit eigenen Augen zu sehen bekam. Er unternahm zahlreiche Ausflüge. Die Kamera immer dabei. So dokumentierte er gerade in den ersten Nachwendejahren nahezu alle Abschnitte des früheren Grenzverlaufes. „Heute sieht man davon so gut wie gar nichts mehr. Den Wandel aber habe ich festhalten können“, sagt Kuno Karls nicht ohne eine gewisse Freude daran, dass es ihm gelungen sei, ein so großes Thema mit einem eigenen Beitrag bestücken zu können.

„In diesem Jahr jährt sich die Maueröffnung – und damit der Fall der innerdeutschen Grenze – zum 30. Mal. Ich werde also am 09. November meinen Bildband herausgeben“, sagt ein nachdenklich blickender Kuno Karls. Er sagt auch, dass er hoffe, die Menschen würden nicht aus den Augen verlieren, wie eine Grenze sie einst getrennt habe. Es sind die Stufen, die ein langes Leben zu dem machen, was es ist.

Als wir uns schließlich voneinander verabschieden und an der obersten Treppenstufe stehen, sagt Kuno Karls – wieder mit einem sehr feinen Lächeln um die Mundwinkel – und als ob er ahnen würde, wie diese Geschichte endet: „Junger Mann, achten Sie auf die Stufen!“

STECKBRIEF
  • Geboren: 1938

  • 1998: Erster Ehrenbürger der Stadt nach dem 2. Weltkrieg

  • 2000: Bundestverdienstkreuz

  • 2003: Ludwig-Reinhard-Kulturpreis des Landkreises Ludwigslust-Parchim


Lange Straße 52 // 19230 Hagenow

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